Eine alte dumme Gans hat Eier
Es gab zu dieser Zeit in meinem Bekanntenkreis drei bis vier Jungen, die mit Gitarre anfingen, und wir tauschten immer die neuesten
Erfahrungen und Ergebnisse untereinander aus, wie wir das aus Kindheitstagen immer schon gewohnt waren.
Der erste Satz, den ich lernte, hieß Eine alte, dumme Gans hat Eier, nichts anderes als eine Eselsbrücke zum Lernen der Saitenreihenfolge
von der dicken zur dünnen Saite: E A D G H E.
Musiktheoretisch war keiner von uns geschult oder besonders interessiert – wir tasteten uns vorwärts von Akkord zu Akkord und von Schlag
zu Schlag.
Das hieß, wenn ich auf dem Griffbrett des Gitarrenhalses mit den Fingern der linken Hand die Saiten an bestimmten Stellen nieder drückte
und mit der rechten Hand über die Saiten weiter hinten über dem dicken Korpus strich oder schlug, ertönte ein wohlklingender Akkord.
Vorausgesetzt, die Gitarre war gestimmt!
Das Stimmen war damals noch so ein Thema für sich. Da kam dann das eigene Gehör ins Spiel und man musste schon gut hören können, um
Einealtedummegans richtig hinzubekommen.
Denn wir saßen manchmal – immer wenn einer einen neuen Akkord oder sonstwas gelernt hatte – mit den Gitarren zusammen und spielten
miteinander, was unserer Gitarrengeschichte noch eine ganz andere, höhere Dimension verlieh.
Trotzdem klangen gestimmte Gitarren manchmal zusammen wieder falsch, weil wir nach Schnauze stimmten. Dann stimmte die einzelne Gitarre
zwar in sich, aber das tiefe E zum Beispiel war dann etwas zu hoch oder zu tief gedreht und die ganze Gitarre stimmte dann einen halben
Ton höher oder tiefer. Das passte nicht mit anderen Gitarren zusammen!
Es galt also, sie alle nach Kammerton A zu stimmen. Dann klangen sie auch zusammen, es sei denn, der jeweilige Stimmer hatte was mit den
Ohren.
Den Kammerton A bekam man entweder über eine Stimmgabel, oder alle stimmten ihre Saiten nach einer Gitarre. Dann stimmten sie zumindest
untereinander und nur darauf kam es an.
Das Drücken der Saiten mit den Fingern der linken Hand war erst ziemlich schmerzhaft, weil die Stahlsaiten in die Fingerkuppen schnitten.
Die höchste (dünnste) E-Saite hat nur einen Durchmesser von 0,25 mm (wenn es ein 10er Satz Gitarrensaiten ist), und das ist schon fast
messerscharf. Der linke Daumen ist nicht betroffen, der hält nur den Gitarrenhals fest und drückt gegen das Holz, wenn die anderen vier
Finger von der anderen Seite die Saiten herunter drücken. Diese vier Finger schmerzen wie gesagt anfangs höllisch an ihren Spitzen und
haben längere Zeit Einkerbungen von den Saiten.
Mit schmerzenden Fingerkuppen ist es natürlich besonders schwer, einen Akkord sauber zu greifen (zu drücken!), weil die Kuppen dann noch
viel mehr schmerzen.
Erfolgserlebnisse mit gut klingenden Akkorden sind deshalb anfangs selten und die Motivation sinkt oft auf einen Tiefpunkt. Es klingt
eigentlich alles schlimm, was man da so macht, und hat gar nichts vom Gitarrenwohlklang der Konkurrenz oder aus dem Radio oder einer
Schallplatte.
An dieser Stelle entscheidet sich dann, ob man weitermacht oder aufgibt!
Ich habe (wahrscheinlich wegen der zahlreichen Mädels des Zeltlagers auf Sylt) weitergemacht...
Es dauerte ein paar Wochen, bis sich auf den strapazierten Fingerkuppen der linken Hand mehr und mehr Hornhaut bildete und die Schmerzen
weniger wurden bis sie ganz verschwunden waren.
Die Lernphase war nunmehr auf eine höhere Ebene gestiegen und ohne die schmerzenden linken Fingerkuppen ging es um das Erfassen von
Zusammenhängen:
Mehrere Akkorde bildeten eine Kadenz. Alle Lieder erstreckten sich über eine bestimmte Kadenz und man konnte sie mit der Gitarre begleiten,
wenn man die Akkorde dieser Kadenz kannte und an den richtigen Stellen von einem zum anderen wechselte. Der Wechsel passierte manchmal
relativ schnell und das Üben der nächsten Zeit erstreckten sich auf das schnelle Wechseln (Umgreifen) von verschiedenen Akkorden. Jedes
Lied hatte ein bestimmtes Tempo und man konnte da schon ins Schwitzen geraten, wenn ein schneller Akkordwechsel angesagt war.
Die meisten Stücke der Rock'n'Roll-Ära waren einfacher Art, was die Akkordwahl betraf - meistens erstreckten sie sich nur über drei
Akkorde (Tonika, Subdominante und Dominante oder auch Grundton, Quarte und Quinte). Sowas hat natürlich damals keiner von uns gesagt.
Diese Dreierkombination als übliches Rock'n'Roll-Raster für die meisten Stücke, bezeichneten wir berlinisch vereinfachend mit einer
uns gut bekannten, üblichen Bezeichnung aus Wohnungsinseraten in Zeitungen, nämlich Stube-Küche-Bad.
„Jetzt spielen wir mal einen Stube-Küche-Bad-Blues in A .“
Chuck Berrys Werke waren zum größten Teil Stube-Küche-Bad-Stücke, also z.B. war für uns Roll Over Beethoven Stube-Küche-Bad in C Dur.
Die ersten Stücke mit denen wir uns beschäftigten waren auch zunächst einfache mit zwei oder höchstens drei Akkorden.
Hang Down Your Head Tom Dooley war ein Stück mit nur zwei Akkorden, weshalb jeder Gitarrenanfänger das damals spielte.
Der einfachste Gitarrenakkord war das E-Moll, weil man da nur zwei Töne drücken musste, also auch nur zwei Finger brauchte. Wenn die
Finger weiter auseinander gespreizt werden mussten – anders als bei E-Moll – war der Griff schon schwerer zu lernen (wir sagten damals
alle Griff, statt Akkord „Kennste schon den D7- Griff?“).
Die erste Kadenz für mich war die G-Dur-Kadenz. Dazu musste ich den G-Dur, den C-Dur und den D7- Griff lernen und schnell untereinander
wechseln können. Zwischendurch durfte man auch mal den einfachen E-Moll-Griff einstreuen. E-Moll war nämlich die parallele Molltonart
von G-Dur – ich lernte langsam (zwangsläufig) einfache Musiktheorie.
Diese ersten Griffe wurden Wandergriffe genannt. Das bezog sich wohl auf die Akkorde am Lagerfeuer, die am linken Teil des Gitarrenhalses
gespielt wurden.