Gitarrenanfänger

Der Teufel in Form von Mädchen

Wie es dazu kam, dass wir uns früher oder später alle in irgendwelchen Kirchenkreisen wiederfanden, weiß ich nicht mehr. Zumindest die evangelische Kirche in Berlin Lankwitz veranstaltete regelmäßige Treffen für Jugendliche in ihren Nebengebäuden. Möglich, dass wir diese Veranstaltungen benötigten, damit die Kirche uns später in ihrem Sinne gut vorbereitet einsegnen konnte. Die Einsegnung war ein festes Ritual mit Geschenken usw., das wir auch alle wollten.
Egal – damit wir fest im Glauben und weitab von der schiefen Bahn erwachsen werden sollten, machten wir viele Gruppenspiele, die immer wieder mal durch Gesangs- und Betrituale ergänzt wurden. Wir sollten wohl gläubige Christen werden, interessierten uns aber eigentlich nur für die spielerische Seite und die Gruppenerlebnisse.
In den Ferien gab es sogar Gruppenreisen in Zeltlagern, wo die ganze Lagerfeuerromantik kräftig angeheizt wurde – es spielte sich alles wahrscheinlich so ähnlich ab, wie man das von den Pfadfindern gehört hatte. Jedenfalls lagen wir immer wieder mal vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord!

Inzwischen waren wir aber in der Pubertät und darum mehr am anderen Geschlecht interessiert, als an Kirchen- oder Pfadfinderliedern. Die Kirchenleiter versuchten daher den Deckel draufzuhalten und uns nicht abtrünnig werden zu lassen – der Teufel schien in Gestalt von Mädchen sein Unwesen zu treiben...

Prägende Eindrücke von damals, die mir noch in Erinnerung geblieben sind, war ein Zeltlager in der Eifel, Nähe Monschau, mit einem Holländerinnenzeltlager hinter dem nächsten Hügel. Immer wenn wir gerade nicht singen oder beten oder essenfassen mussten, trieben wir uns dort herum.

Dann waren wir mal auf Sylt in einem Zeltlager bei Dikjen Deel – und wieder gab es ein Mädchenzeltlager gleich hinter der nächsten Düne! Und da passierte mir dann ein Schlüsselerlebnis, das mich bis heute prägen sollte!
Eines Morgens hörte ich außerhalb meines Gruppenzeltes ein unbekanntes, kratzendes Geräusch und ich robbte verschlafen in Richtung Zeltausgang:
Da saß ein Typ in meinem Alter, schrammelte auf einer Gitarre, und alle Mädchen saßen um ihn herum!

In dem Moment stand für mich fest – Du lernst Gitarre!

Ich lernte also Gitarre.
Mein Freund Axel hatte eine alte Wandergitarre mit einem kleinen Riss im Korpus, die er mir für 5 Mark verkaufte. Axel war Linkshänder und bastelte deshalb ständig selber mit Laubsäge und anderem Werkzeug an einer Linkshändergitarre – was auch ganz gut funktionierte (sie sah aber etwas – na sagen wir mal – futuristisch aus!). Die 5 Mark-Gitarre hatte schon Stahlsaiten und keine Darm- oder Nylonsaiten mehr, wie bei Wanderklampfen und immer bei Konzertgitarren üblich.

Die Gitarre hatte ich offensichtlich sogar während einer Klassenreise damals dabei!

Eine alte dumme Gans hat Eier

Es gab zu dieser Zeit in meinem Bekanntenkreis drei bis vier Jungen, die mit Gitarre anfingen, und wir tauschten immer die neuesten Erfahrungen und Ergebnisse untereinander aus, wie wir das aus Kindheitstagen immer schon gewohnt waren.
Der erste Satz, den ich lernte, hieß Eine alte, dumme Gans hat Eier, nichts anderes als eine Eselsbrücke zum Lernen der Saitenreihenfolge von der dicken zur dünnen Saite: E A D G H E.

Musiktheoretisch war keiner von uns geschult oder besonders interessiert – wir tasteten uns vorwärts von Akkord zu Akkord und von Schlag zu Schlag.
Das hieß, wenn ich auf dem Griffbrett des Gitarrenhalses mit den Fingern der linken Hand die Saiten an bestimmten Stellen nieder drückte und mit der rechten Hand über die Saiten weiter hinten über dem dicken Korpus strich oder schlug, ertönte ein wohlklingender Akkord. Vorausgesetzt, die Gitarre war gestimmt!
Das Stimmen war damals noch so ein Thema für sich. Da kam dann das eigene Gehör ins Spiel und man musste schon gut hören können, um Einealtedummegans richtig hinzubekommen. Denn wir saßen manchmal – immer wenn einer einen neuen Akkord oder sonstwas gelernt hatte – mit den Gitarren zusammen und spielten miteinander, was unserer Gitarrengeschichte noch eine ganz andere, höhere Dimension verlieh.
Trotzdem klangen gestimmte Gitarren manchmal zusammen wieder falsch, weil wir nach Schnauze stimmten. Dann stimmte die einzelne Gitarre zwar in sich, aber das tiefe E zum Beispiel war dann etwas zu hoch oder zu tief gedreht und die ganze Gitarre stimmte dann einen halben Ton höher oder tiefer. Das passte nicht mit anderen Gitarren zusammen! Es galt also, sie alle nach Kammerton A zu stimmen. Dann klangen sie auch zusammen, es sei denn, der jeweilige Stimmer hatte was mit den Ohren.
Den Kammerton A bekam man entweder über eine Stimmgabel, oder alle stimmten ihre Saiten nach einer Gitarre. Dann stimmten sie zumindest untereinander und nur darauf kam es an.

Das Drücken der Saiten mit den Fingern der linken Hand war erst ziemlich schmerzhaft, weil die Stahlsaiten in die Fingerkuppen schnitten. Die höchste (dünnste) E-Saite hat nur einen Durchmesser von 0,25 mm (wenn es ein 10er Satz Gitarrensaiten ist), und das ist schon fast messerscharf. Der linke Daumen ist nicht betroffen, der hält nur den Gitarrenhals fest und drückt gegen das Holz, wenn die anderen vier Finger von der anderen Seite die Saiten herunter drücken. Diese vier Finger schmerzen wie gesagt anfangs höllisch an ihren Spitzen und haben längere Zeit Einkerbungen von den Saiten.

Mit schmerzenden Fingerkuppen ist es natürlich besonders schwer, einen Akkord sauber zu greifen (zu drücken!), weil die Kuppen dann noch viel mehr schmerzen. Erfolgserlebnisse mit gut klingenden Akkorden sind deshalb anfangs selten und die Motivation sinkt oft auf einen Tiefpunkt. Es klingt eigentlich alles schlimm, was man da so macht, und hat gar nichts vom Gitarrenwohlklang der Konkurrenz oder aus dem Radio oder einer Schallplatte.

An dieser Stelle entscheidet sich dann, ob man weitermacht oder aufgibt!

Ich habe (wahrscheinlich wegen der zahlreichen Mädels des Zeltlagers auf Sylt) weitergemacht...

Es dauerte ein paar Wochen, bis sich auf den strapazierten Fingerkuppen der linken Hand mehr und mehr Hornhaut bildete und die Schmerzen weniger wurden bis sie ganz verschwunden waren.
Die Lernphase war nunmehr auf eine höhere Ebene gestiegen und ohne die schmerzenden linken Fingerkuppen ging es um das Erfassen von Zusammenhängen:
Mehrere Akkorde bildeten eine Kadenz. Alle Lieder erstreckten sich über eine bestimmte Kadenz und man konnte sie mit der Gitarre begleiten, wenn man die Akkorde dieser Kadenz kannte und an den richtigen Stellen von einem zum anderen wechselte. Der Wechsel passierte manchmal relativ schnell und das Üben der nächsten Zeit erstreckten sich auf das schnelle Wechseln (Umgreifen) von verschiedenen Akkorden. Jedes Lied hatte ein bestimmtes Tempo und man konnte da schon ins Schwitzen geraten, wenn ein schneller Akkordwechsel angesagt war.

Die meisten Stücke der Rock'n'Roll-Ära waren einfacher Art, was die Akkordwahl betraf - meistens erstreckten sie sich nur über drei Akkorde (Tonika, Subdominante und Dominante oder auch Grundton, Quarte und Quinte). Sowas hat natürlich damals keiner von uns gesagt. Diese Dreierkombination als übliches Rock'n'Roll-Raster für die meisten Stücke, bezeichneten wir berlinisch vereinfachend mit einer uns gut bekannten, üblichen Bezeichnung aus Wohnungsinseraten in Zeitungen, nämlich Stube-Küche-Bad.
„Jetzt spielen wir mal einen Stube-Küche-Bad-Blues in A .“ Chuck Berrys Werke waren zum größten Teil Stube-Küche-Bad-Stücke, also z.B. war für uns Roll Over Beethoven Stube-Küche-Bad in C Dur.

Die ersten Stücke mit denen wir uns beschäftigten waren auch zunächst einfache mit zwei oder höchstens drei Akkorden. Hang Down Your Head Tom Dooley war ein Stück mit nur zwei Akkorden, weshalb jeder Gitarrenanfänger das damals spielte. Der einfachste Gitarrenakkord war das E-Moll, weil man da nur zwei Töne drücken musste, also auch nur zwei Finger brauchte. Wenn die Finger weiter auseinander gespreizt werden mussten – anders als bei E-Moll – war der Griff schon schwerer zu lernen (wir sagten damals alle Griff, statt Akkord „Kennste schon den D7- Griff?“). Die erste Kadenz für mich war die G-Dur-Kadenz. Dazu musste ich den G-Dur, den C-Dur und den D7- Griff lernen und schnell untereinander wechseln können. Zwischendurch durfte man auch mal den einfachen E-Moll-Griff einstreuen. E-Moll war nämlich die parallele Molltonart von G-Dur – ich lernte langsam (zwangsläufig) einfache Musiktheorie. Diese ersten Griffe wurden Wandergriffe genannt. Das bezog sich wohl auf die Akkorde am Lagerfeuer, die am linken Teil des Gitarrenhalses gespielt wurden.