Nicht alle sollten unterrichten dürfen

Jeder Zahnarzt, der seinen Beruf schlecht ausübt, wird bald kaum noch PatientInnen haben. Die PatientInnen werden sich schnellstmöglich einen anderen Arzt suchen, einen, bei dem es weniger schmerzt.

Schülerinnen und Schüler haben diese Möglichkeit leider nicht und wenn sie an schlechte Lehrkräfte geraden haben sie eben Pech gehabt.

Jeder Abiturient darf und kann sich für das Lehramtsstudium entscheiden. Dieses Studium ist nicht übermäßig schwer und in der Regel kann das jeder mit seinem Ersten Staatsexamen erfolgreich abschließen.
Bis zum erforderlichen Zweiten Staatsexamen verbringen Referendare und Lehramtsanwärter einen bestimmten Zeitraum von ca. zwei Jahren in der Praxis, d.h. an einer Schule. Dort werden sie von einer fertigen und diensterfahrenen Lehrkraft „unter die Fittiche“ genommen. Sie unterrichten mit reduzierter Stundenzahl in verschiedenen Jahrgangsstufen und werden im Laufe dieser Zeit von diversen Personen im Unterricht begleitet, besucht und beurteilt (betreuender Lehrer, Schulleiter, Fachseminarleiter, Hauptseminarleiter usw.). Nach diesen Unterrichtsbesuchen (Vorführstunden) findet in der Regel ein Gespräch statt, in dem festgestellt wird, ob der lernende Lehrer Fortschritte gemacht hat und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt.
Parallel dazu müssen verschiedene Scheine erworben werden, ohne die man nicht zum Zweiten Staatsexamen zugelassen wird (1. Hilfe-Bescheinigung, Teilnahme an einem Ausbildungsseminar zur Suchtprophylaxe an der Schule, Schulrecht usw.).
Dann wird eine umfangreichere Arbeit geschrieben, deren Bewertung zusammen mit der bisherigen Gesamtbeurteilung des Lehramtsanwärters in die Zensierung der zweiten Staatsprüfung einfließt.
Zum Schluss erfolgt die zweite Staatsprüfung, für die der Kandidat zwei Unterrichtsstunden vor versammelter Prüfungskommission zu halten hat, die dann nachfolgend mit der Kommission in einem separaten Raum der Schule besprochen und beurteilt wird. Zusätzliche Fragen seitens der Prüfer zu Themen, die zum Lehrerberuf gehören werden gestellt und zum Schluss führt die Diskussion der Prüfungskommission unter Zuhilfenahme aller Teilzensierungen und ggf. der persönlichen Beurteilungen der diversen Betreuer über die vergangenen Praxisjahre des Prüflings zu einer Endzensur und dazu, ob er das Zweite Staatsexamen bestanden hat, oder nicht. Eine schlechte Vier gilt noch als bestanden. Bei nicht bestandenem Examen kann der Kandidat nach einem längeren Zeitraum mit weiteren Praxiserfahrungen die Prüfung einmal wiederholen.

Dann ist man Lehrer oder Lehrerin und kann sich eine Stelle an einer Schule suchen.

Da Bildung Ländersache ist, gibt es Bundesländer, die ihre Lehrkräfte verbeamten und Länder, bei denen das nicht der Fall ist. Lehrkräfte, die eine Absicherung durch Pensionierung und Unkündbarkeit anstreben, werden daher vermutlich in Bundesländer abwandern, die solche Bedingungen bieten. An meiner Schule in Berlin konnten wir die aus unserer Sicht besten und geeignetsten Lehrer/innen für unserer Schülerschaft nicht behalten – obwohl freie Planstellen für sie vorhanden gewesen sind – weil Berlin inzwischen nicht mehr verbeamtete.

Was sind denn nun gute Lehrer und gute Lehrerinnen?

Drei Dinge sind hierbei unabdingbar:mmmmmmmmmmmmmmSachkompetenz – Erziehungskompetenz - Persönlichkeit

Nach meinen Erfahrungen ist nur die Sachkompetenz während des Studiums und danach erlernbar. Die beiden anderen Voraussetzungen für den Lehrerberuf erwirbt man sich während der eigenen Sozialisation – oder auch nicht.

Die Sachkompetenz, also der jeweilige Lernstoff und die Didaktik dazu, also die Dramaturgie des Unterrichts, sind der Schwerpunkt der Lehrer/innenausbildung.
Man lernt die Feinstverteilung des Lehrstoffes Das Mittelalter auf eine bestimmte lt. Rahmenplanauslegung vorgegebene Wochenzahl und übt dabei die sinnvolle, weil machbare Dimensionierung der Teilbereiche des Mittelalters auf die Stundenvorgabe 45 Minuten oder 90 Minuten für eine Doppelstunde – „Heute beschäftigen wir uns mal mit dem Lehnswesen!“ Dazu kommen dann noch die Kunstgriffe um den Kindern ein langweiliges Thema irgendwie zu verkaufen – schmackhaft zu machen – „Wie hieß denn der Bundeskanzler im Mittelalter?“ – die sogenannte Motivation.
Dann wird noch ein manchmal sehr ausufernder Medieneinsatz erprobt, der z.B. für Prüfungsstunden später nie mehr aufgewendete Energieleistungen und ggf. Bastelarbeiten der Lehrkraft während der Freizeit erfordern (Ritterrüstung aus Pappe basteln, PowerPoint-Präsentation herstellen usw.). Geschicktes Tafelbild anfertigen wird geübt und auch der Phasenwechsel während der Unterrichtsstunde, also nach zehn Minuten Stillarbeitsphase (Abschreiben von der Tafel) muss eine Phase der Aktivität folgen, damit die Schüler/innen ständig angeregt werden und im Unterricht nicht wegdösen. Zum Schluss muss man noch – rechtzeitig vor dem Klingeln! – den Lernerfolg überprüfen durch Abfragen o.ä. und eine sinnvolle Hausaufgabe diktieren.

Dieses ist für alle Lehramtsanwärter/innen lernbar und mündet als wichtigster Faktor in die Prüfung zum Zweiten Staatsexamen – O-Ton: Er kann unterrichten!.

Mit dem späteren Erfolg oder Misserfolg als Lehrer/in hat das aber nur sehr wenig zu tun! Alle Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen haben das alles gelernt und können es anwenden. Trotzdem gibt es eine große Zahl von ihnen, die nicht an eine Schule gehören.
Woran liegt das?
Ich unterstelle allen, die zum Unterrichten an die Schulen wollen hehre Absichten. Selbst denjenigen, die ursprünglich an den Universitäten in die Forschung wollten und mangels Bedarf nun als Studienräte an die Schulen „müssen“.

Wie Schule in der Realität ist, erfährt man aber als zukünftiger Lehrer erst dann, wenn es sozusagen schon zu spät ist. Dann hat man ein mehr oder weniger längeres Studium hinter sich, die Referendariatszeit und das Examen und erst dann zeigt sich, ob man sich für diesen Beruf eignet, oder nicht. Die Studienjahre bis zum Zweiten Staatsexamen finden in einem Schonraum statt durch unrealistische Unterrichtssituationen mit Prüfern oder Kontrolleuren, die hinten mit im Raum sitzen und die Klassen ggf. verunsichern. Die Examensstunden können praktisch jahrelang vorbereitet werden und geben dann natürlich kein aufschlussreiches Bild über den jeweiligen Lehramtsanwärter im Alltag wider. Kein Vertreter der Schülerschaft dieses Lehrers sitzt in der Prüfungskommission, obwohl die Schüler/innen die einzigen sind, die über die Qualität dieses Lehrers in den vergangenen zwei Jahren am meisten erfahren haben.

Ich habe in meinen Jahrzehnten im Schuldienst von vielen sogenannten Fachlehrern folgende Ansicht zu hören bekommen: „Ich unterrichte hier nur mein Fach! Mit Erziehung habe ich nichts zu tun. Erziehung ist Sache der Eltern!“ Manch ein Lehrer sagte von sich: „Wenn die nicht zuhören ist das deren Sache! Ich bringe auf jeden Fall meinen Stoff in den 45 Minuten!“ Darunter sind nicht wenige, die die ganze Stunde ausschließlich dozieren und beim Klingeln den Raum verlassen (das Friss-oder-stirb-Prinzip).

Dazu muss folgendes gesagt werden: Wenn ich von dem 24-Stunden-Tag eines Ganztagsschul-Schülers zehn Stunden Schule, zwei Stunden Hausaufgaben, acht Stunden Schlaf und vielleicht zwei Stunden für die Ernährung und die Körperpflege abziehe, dann bleiben nur noch zwei Stunden für Sonstiges übrig. Das heißt, dass die meisten Schüler/innen heutzutage die längste Zeit ihres Tages in der Schule verbringen. Aus Gründen, die anderswo schon beschrieben wurden, funktioniert die Kindererziehung oft nicht mehr so gut in den Familien wie sie sollte, also ist es die Pflicht der Schule, ihren Beitrag dazu zu leisten – mit gut ausgebildeten Fachleuten - den Lehrkräften.

Ich bin mir inzwischen sicher, dass vielfach die irrige Annahme besteht: Ein guter Mathematiker ist auch ein guter Mathematiklehrer. In Wirklichkeit scheint mir das eine meistens mit dem anderen gar nichts zu tun zu haben..

Ein Fach vom Stoff her zu erlernen ist zumindest für den Zeitraum bis zum Ende der zehnten Klasse keine außerordentliche Leistung. Ich selbst habe zwar Englisch und Gesellschaftskunde als Fach studiert, aber stattdessen jahrzehntelang Gesellschaftskunde und Biologie unterrichtet. Wenn man sich für ein bestimmtes Fach interessiert, ist das gut machbar, auch wenn man in den ersten Wochen und Monaten den Schüler/innen vielleicht immer nur ein paar Stunden voraus ist. Aber meine Schüler/innen waren immer mindestens so gut in ihren Leistungen und Ergebnissen wie bei den Lehrkräften, die das Fach studiert hatten.

Nach den neuen Fachbegriffen war ich ja ein Seiteneinsteiger. Der Fachbereichsleiter Biologie hat mich gefragt, ob ich nicht Interesse am Biologieuntericht haben könnte. Der Fachbereich hat viel zu wenig Fachlehrer....
Als Bilanz der Jahrzehnte als Biologielehrer kann ich sagen, das erfolgreiche Unterrichten in dem Fach für das ich keine Ausbildung gehabt hatte, habe ich genauso vollbracht, wie das Unterrichten in meinen Studienfächern.

Die beiden anderen – meiner Erfahrung nach wesentlich wichtigeren Qualitäten einer Lehrkraft – Erziehungskompetenz und Persönlichkeit, werden und sind wohl an den Hochschulen nicht zu lehren und zu erwerben. Die Fähigkeit zur Empathie beispielsweise kann nicht per Sachinformation oder Vortrag in Seminaren erworben werden. Sie entsteht irgendwie „wundersam“ im Verlaufe der individuellen Sozialisation und ist dann Teil der Persönlichkeit eines Menschen, im Glücksfall auch eines an der Schule unterrichtenden Menschen.

Will einer nach dem Abitur Lehrer werden, dann sollte es doch möglich sein, quasi als Eingangsprüfung über einen nicht allzu langen Zeitraum herauszufinden, ob derjenige erziehungskompetent ist, kreativ ist, eine interessante Persönlichkeit darstellt und andere Qualitäten mitbringt, die für den Beruf einer Lehrkraft unerlässlich sind, wie z.B. Gelassenheit, Empathie, Aufgeschlossenheit für Ungewöhnliches usw. Das fatale dabei ist aber, dass die Prüfer und Prüferinnen diese Qualifikationen meistens selber nicht haben, und dann nach den alten Kriterien der Sachkompetenz beurteilen.

Bisher bleibt das alles dem Zufall überlassen.

Ich war mehrere Jahre in Berlin zusätzlich Seminarleiter in der Lehrerausbildung (so hieß das damals, obwohl die Anzahl der Lehrerinnen wesentlich größer gewesen ist). Es gabe davon 6 - 8 Seminare parallel zum gleichen Thema, und Jeder, der in Berlin Lehrer oder Lehrerin werden wollte, musste so ein Zweitageseminar besuchen.

Wir FachseminarleiterInnen habe dann monatlich eine Supervisionssitzung miteinander gehabt, um uns gegenseitig über unsere Seminarergenisse zu informieren, und alles auszuwerten.

Da trennte sich dann für Fachleute leicht erkennbar die Spreu vom Weizen!

In diesen zwei Tagen machten wir mit den Lehramtsanwärter/innen alle Übungen, Spiele und Trainingseinheiten, die wir auch im Unterricht mit den Schulklassen machten, also „Überleben vor der Klasse“ z.B. und die anderen Dinge, die ich schon beschrieben habe. Übungen, die der Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls dienen, was eine der wichtigsten Basisqualifikationen in der Schule ist.
Im Grunde genommen simulierten wir an den zwei Seminartagen alle möglichen und unmöglichen Unterrichtssituationen und entwickelten mit den SeminarteilnehmerInnen auf sie zugeschnittene Strategien, damit sie später in den Realitäten des Schulalltags erfolgreich unterrichten konnten. Dieses alles passierte in komprimierter Form, weil eben ein Zweitageseminar als Vorbereitung für ein ganzes LehrerInnenleben doch ziemlich kurz ist.

Diese Seminare, angeleitet durch zwei FachseminarleiterInnen, bestanden aus ca. 12-14 TeilnehmerInnen, die miteinander durch angeleitetes Ausprobieren, möglichst viele und tiefergehende Erfahrungen machen sollten, die mit den zu erwartenden Schulsituationen der Zukunft zu tun hatten. Durch Aufarbeitung und Reflektion der gemachten Erfahrungen konnten dann oft erste Aha-Erlebnisse vermittelt werden und die Schulperspektive entwickelte sich – anders als auf der Hochschule vermittelt – in eine praxisorientierte, realistischere Richtung.

Es gab allerdings in jedem dieser Seminare auch immer wieder TeilnehmerInnen, die gehörten nach unserer Überzeugung nicht an die Schule. Das waren über die Jahre hochgerechnet und nach Bestätigung durch die anderen SeminarleiterInnen so ca. 30 %.

Aus diesen Erfahrungen in den Seminaren (und in den eigenen Schulkollegien) grassierte unter uns FachseminarleiterInnen unter der Hand folgende Ansicht:

Ein Drittel der an den Schulen unterrichtenden LehrerInnen sind gute LehrerInnen,
ein weiteres Drittel könnte dieses sein, wenn man sie dahingehend trainieren würde,
und ein Drittel gehört nicht an die Schule!

- Angehende Lehrkräfte müssen kein Abitur haben

- Angehende Lehrkräfte sollten auch als Seiteneinsteiger angeworben werden

- Das Studium muss mit einem parallelen Praktikum stattfinden

- Die Schulen sollten Ganztagsschulen sein bis zum Abitur

- Die Schulen sollten viel Wahlpflichtunterricht anbieten, der es den SchülerInnen ermöglicht, das Thema und die jeweilige Lehrkraft auszuwählen

- Die Schulen sollten Kunst-, Musik- und Sportunterricht verstärken

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